12.10.2020 – Gleich zwei neue Spiele von Michael Kiesling und Wolfgang Kramer erscheinen rund um die SPIEL.digital. Zum einen mit Renature, der mit Spannung erwartete erste Titel des neuen Verlags von Peter Eggert, Deep Print Games. Zum anderen mit Paris das erste Kickstarter-Projekt der beiden und ihre erste Zusammenarbeit mit den Belgiern von Game Brewer. Andreas Becker hat mit Michael Kiesling über die beiden Spiele gesprochen.

Deep Print Games ist ein neuer Verlag, hinter dem nicht irgendwer steckt, sondern mit Peter Eggert, Andreas Finkernagel, Karsten Esser, Matthias Nagy und Viktor Kobilke ausschließlich Schwergewichte der deutschen Spieleszene. Wie kam es dazu, dass Sie und Wolfgang Kramer für das erste Spiel und damit auch maßgeblich für die Wahrnehmung des Verlags engagiert wurden?

Ich kenne Peter Eggert schon sehr lange und ganz gut und habe ihm irgendwann das Spiel gezeigt. Es hat ihm auch auf Anhieb zugesagt. Ob daraus ein Spiel wird, das er herausgibt, war allerdings nicht selbstverständlich. Peter war zu dem Zeitpunkt bei Plan B bereits ausgeschieden, und es war noch gar nicht klar, ob er überhaupt wieder etwas machen würde.

 

Aber es ist auch eine Ehre, für das erste Spiel verantwortlich zu sein, oder?

Sicher. Andersherum ist es aber vielleicht auch für einen neuen Verlag durchaus eine Ehre, ein Spiel von Kramer und Kiesling veröffentlichen zu können. Aber ich bin durchaus angespannt, wie das Spiel ankommt. Gerade weil es ein neuer Verlag ist, gerade weil dahinter Peter Eggert und andere stecken, würde ich es ganz übel finden, wenn dieses Spiel nicht gemocht würde. Ich würde es toll finden, wenn sich zeigt, dass Renature ein gutes Spiel ist.

 

Der Kernmechanismus ist – Überraschung! – das gut alte Domino.

Wolfgang Kramer und ich haben schon seit einigen Jahren versucht, ein Spiel auf Domino-Basis zu entwickeln, aber es war uns nie so recht gelungen. Entscheidend war die Idee, dass man einen Stein legt und dann damit etwas machen kann: Bei Renature kann direkt neben dem Domino-Stein etwas gepflanzt werden. An dieser Idee haben wir eine ganz Weile experimentiert, bis wir gesagt haben: Das hat was.

 

Was ist der Clou an Renature?

Das, was das Spiel ausmacht, sind die Unentschieden bei den Gebietswertungen. Kommt es dazu, sind die Beteiligten komplett aus der Wertung raus und gehen leer aus. Da spielt die neutrale Farbe, die jeder Spieler hat, eine entscheidende Rolle. Damit kann ich eben sehr gezielt auch dafür sorgen, dass andere in der Gebietswertung nicht Erster werden. Oder – wie gesagt – ich erzwinge damit ein Unentschieden.

 

Gibt es Tipps, worauf man bei seiner ersten Partie achten sollte?

Ich empfehle, sein Pulver nicht zu schnell zu verschießen, sich die wertigeren Bäume also aufzusparen. Mit denen möchte man natürlich die höherwertigen Felder gewinnen, allerdings wird darum auch ein größerer Wettstreit entbrennen und es wird dort versucht, dass man über die neutrale Farbe verdrängt wird.

 

War das Thema von vornherein gesetzt?

Von den Mechanismen hat sich nichts geändert. Aber vom Thema schon, so viel kann ich – glaube ich – verraten. Auf den Dominosteinen waren verschiedene Personen abgebildet, die Aktionen ausgelöst haben. Zwar tendiert man als Autor mehr und mehr dahin, auch beim Thema mitbestimmen zu können, weil es sonst durchaus passieren kann, dass ein Spiel ein Thema erhält, mit dem du dich gar nicht anfreunden kannst. Aber in diesem Fall war es von vornherein klar, dass wir uns mit dem Thema des Verlages einverstanden erklären müssen. Aber das fiel sowohl Wolfgang Kramer als auch mir dieses Mal leicht.

 

Sprechen wir noch kurz über Paris. Das erste Kickstarter-Projekt von Ihnen und Wolfgang Kramer in Ihrer langen Karriere. Wie hat sich diese Art der Finanzierung angefühlt?

Ich finde es erst einmal in Ordnung, wenn ein Verlag so vorgeht, weil er selbst damit sein wirtschaftliches Risiko minimiert. Für mich als Autor ist es aber schwer zu beurteilen, wie es mit diesem Spiel dann weitergeht und wie wir als Autoren berücksichtigt werden, falls das Spiel noch eine weitere, von dieser Kickstarter-Aktion unabhängige Auflage erhält. Da bin ich, zugegeben, gespannt auf die vertragliche Ausgestaltung.

 

Wie fanden Sie die Kickstarter-Kampagne?

Das Team des Verlags hat sich echt viel Mühe gegeben, um das Spiel toll zu präsentieren. Das hat mich schon beeindruckt. Ich beobachte auch mit großer Neugierde die Unterstützer, die nur auf Basis der Beschreibung und der Videos ein Spiel so beurteilen können, dass sie es kaufen wollen. Der Verlag hat das Spiel echt toll umgesetzt, das finde ich echt anerkennenswert. Und es gibt auch einige Videos von Bloggern zu diesem Spiel auf Englisch, die Paris ganz positiv bewerten.

Worum geht es in Paris?

Im Grunde geht es darum, in jedem der sechs Pariser Arrondissements auf dem Plan die Mehrheit über die Wertigkeit der Gebäude zu erreichen. Interessant ist, dass man – wenn man im Laufe der Partie auf ein höherwertiges Gebäude in einem der Bezirke setzt – nicht den vollen Preis bezahlen muss, sondern nur die Differenz zwischen dem jetzigen und dem neuen Gebäude. Interessant sind dabei die Bonuskarten, die man außen einsammelt, wenn man ein Gebäude mit niedrigem Wert erwirbt: Auf der Leiste kann man nie zurückziehen und muss sich genau überlegen, wie weit man vorangehen möchte, was einem ein Plättchen wert ist.

 

Mit Verlaub, das klingt spielmechanisch sehr nach einem Kramer-Kiesling-Klassiker.

Zugegeben, sowohl in Renature als auch in Paris lassen sich vielleicht keine brandneuen Mechanismen finden. Der Domino-Mechanismus ist jetzt nicht ganz neu, die Gleichstände kennt man aus Rüdiger Dorns Las Vegas; und ein Spiel, in dem man Gebäude und Mehrheiten erwirbt, gibt es hier und da auch schon. Aber in der Mixtur der Einzelteile wird man eben solche Spiele bislang auch nirgends finden.

 

Wo würden Sie Paris selbst von der Komplexität einordnen?

In meinen Augen ist ein Kennerspiel mit ein paar schönen Mechanismen. Ich sage es mal so: Wolfgang Kramer und Michael Kiesling hat das Spiel wirklich gefallen. Und ich möchte dazu sagen, dass das vielleicht retrospektiv nicht bei jedem unserer Spiele in gleichem Maße wie bei diesem der Fall war.

 

Die Abschlussfrage ist wohl unvermeidlich: Wird es ein Azul IV geben?

Da sollten Sie vielleicht lieber in Kanada bei Sophie Gravel anrufen, als mich zu fragen. Mein aktuelles Gefühl sagt mir aber: Es wird wahrscheinlich keinen weiteren Teil geben.